Keine Steueroasen in gemeindefreien Gebieten 21. November 202429. November 2024 Oliver Brandt spricht im Landtag. Foto: Landtagsfraktion B90/Grüne Zur Landtagsdebatte unter TOP 25 am 20.11.2024 über das gemeindefreie Gebiet im Sachsenwald sagt der Landtagsabgeordnete Oliver Brandt: Wir müssen dieses Adelsprivileg aus dem 19. Jahrhundert abschaffen. Am 11. Oktober überraschte uns die ZDF-Sendung Magazin Royale mit einem Bericht über eine Jagdhütte im Sachsenwald im Herzogtum Lauenburg, die als Firmensitz für zahlreiche Unternehmen dient. Einziger Zweck ist offenbar, Gewerbesteuer zu sparen. Wie funktioniert das? Da müssen wir zunächst mal tief in die Geschichte einsteigen. Das gemeindefreie Gebiet Sachsenwald darf laut Landgemeindeordnung für die Provinz Schleswig-Holstein von 1892 als Verwaltungseinheit vergleichbare Rechte wie Gemeinden wahrnehmen. Diese Sonderrechte wurden 1927 in Schleswig-Holstein abgeschafft, mit zwei Ausnahmen. Eine davon ist der Forstgutsbezirk Sachsenwald. Damit übernimmt dort ein Gutsvorsteher die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung. Ein Adelsprivileg aus dem 19. Jahrhundert gilt damit bis heute. Das ist seit langem bekannt. Bereits 1990 scheiterte die Abschaffung des gemeindefreien Gebiets Sachsenwald daran, dass die beteiligten Kommunen sich nicht auf eine Übernahme in ihr Gemeindegebiet einigen konnten. Neu ist, dass im Sachsenwald hohe Steuereinnahmen erzielt werden. Der Gewerbesteuerhebesatz für den Sachsenwald liegt seit 1958 bei 275 Prozent. Das spielte lange keine Rolle und liegt im gesetzlich vorgegebenen Rahmen. Allerdings ist er deutlich günstiger als zum Beispiel in der Nachbargemeinde Aumühle. Dort gelten 350 Prozent. Und dort hat auch die „von Bismarcksche Forstverwaltung“ ihren Sitz. Dies verleitete Bismarck offenbar dazu, eine Betriebsstätte für seine Forstverwaltung im Sachsenwald zu gründen. Und da das Modell wohl gut funktionierte, nutzten immer mehr andere Unternehmen den Sachsenwald als Betriebsstätte. Nach Informationen der Rechercheplattform „Frag den Staat“ sind das mittlerweile 21 Firmen, viele davon ursprünglich aus Hamburg. Dort liegt der Gewerbesteuerhebesatz bei 400 Prozent. Im gemeindefreien Gebiet Sachsenwald werden erhebliche Beträge an Gewerbesteuer vereinnahmt, 2023 bereits über eine Million Euro. Diese Art von Steuergestaltung empört uns zu Recht. Besonders skurril ist die in der Presse genannte Begründung, mit den gezahlten Gewerbesteuern werde ein „wertvoller Beitrag zur Klimawende“ geleistet. Dieser Praxis muss ein für alle Mal ein Riegel vorgeschoben werden! Diese absurde Ausnahme gehört in die Geschichtsbücher, aber nicht in die Verwaltungspraxis in Schleswig-Holstein. Ob die Jagdhütte tatsächlich als Betriebsstätte für 21 Unternehmen genutzt wurde oder ob es sich um Steuerhinterziehung handelt, müssen nun die Finanzbehörden ermitteln. In Hamburg liegt dazu bereits eine Strafanzeige vor. Die Erhebung von Steuern im gemeindefreien Gebiet Sachsenwald ist allerdings momentan rechtlich zulässig. Hierfür liegt die Verantwortung in der Hand des Landes Schleswig-Holstein. Da müssen wir jetzt ran! Im demokratischen Rechtsstaat liegt die Verantwortung dafür, wie Steuereinnahmen verwendet werden, in der Hand von gewählten Vertretungen – in Bund und Land genauso wie in Städten, Ämtern und Gemeinden. Deshalb müssen wir dieses Privileg schnell abschaffen. Gemeindefrei darf nicht demokratiefrei heißen! Daher begrüße ich, dass das Innenministerium im Finanzausschuss angekündigt hat, dass die Auflösung des gemeindefreien Gebiets zügig umgesetzt werden soll. Und anders als 1990 muss es diesmal eine gesetzliche Lösung geben, falls es keine gütliche Einigung der beteiligten Verwaltungen gibt. Das Ministerium hat mitgeteilt, dass eine solche Lösung erst ab 1. Januar 2026 möglich sein wird. Doch es besteht jetzt Handlungsbedarf. Es muss kurzfristig geregelt werden, dass ein gemeindefreies Gebiet keine Steuern mehr erheben darf. Hier erwarten wir Vorschläge, die bereits zum kommenden Jahr greifen – damit das 19. Jahrhundert in Schleswig-Holstein auch rechtlich endlich der Vergangenheit angehört. Vielen Dank! Der Antrag der Fraktionen von CDU und Bündnis 90/Die Grünen wurde einstimmig angenommen.